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Die Schweiz wird von Österreich aus heute nicht mit den gleichen bewundernden und sehnsüchtigen Augen betrachtet wie vor 50 Jahren oder länger.

War sie ehemals der vorbildliche Partner (Sicherheit, Ordnung, Pünktlichkeit, Arbeitsethos, Neutralität), so empfindet man sie heute oft als schnöden Konkurrenten, der durch Kleinbürgertum und Beschränktheit auffällt. Vergessen ist, dass die Schweiz unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg den hungernden Kindern in Wien großzügig geholfen hat (zum Dank dafür wurde der Park beim Südbahnhof in „Schweizergarten“ benannt), zwischen 1946 und 1953 haben Schweizer Familien tausende österreichische Kinder im Sommer als Kostkinder aufgenommen, hunderte Österreicher fanden nach 1945 Brot und Existenz in der Schweiz, was die hohe Zahl von Österreichervereinen in unserem Nachbarland erklärt. Beide Länder weisen - oft kontrastierende – Ähnlichkeiten auf.

Ähnlich wie Österreich zählt die Schweiz zu den kleinen Staaten in Europa, zeigt aber in gewissen Bereichen Überproportionen. Dort das Bankwesen und die Bescheidenheit, hier die Musikkultur und ein Schlendrian, den man durch  Überheblichkeit zu relativieren sucht. Die kleine – zugleich auch überschaubare - Dimension wird deutlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die Schweiz um 1/3 kleiner ist als Österreich, aber statt neun Bundesländern (dort Kantone genannt) deren 26 hat.

Man ist daher zu allererst Angehöriger eines Kantons, wo wegen der überschaubaren Größe alle wirtschaftlich und politisch einflussreichen Personen einander kennen,

aber wegen der hohen Autonomie (beispielsweise auch im Steuerbereich) Abstand zum Nachbarkanton üben. Hier kommt der „Kantönligeist“ zum Vorschein, der durch die Trennung in eine romanische (italienisch-französische) und eine deutsche Schweiz noch verschärft wird. Es ist der berühmte „Röstigraben“, jenseits dessen -  je nach Blickrichtung - die Erdäpfeln eben entweder geröstet oder als pommes frites gegessen werden. Verschärft wird diese Trennung durch die Tatsache, dass man in der Deutschschweiz, insbesondere seit der nationalsozialistischen Bedrohung im

2. Weltkrieg,  das „Schwyzerdütsch“ besonders pflegt, was für die romanischen Schweizer, die Hochdeutsch als Zweitsprache lernen, eine weitere Hürde darstellt.

Was ist dann das Einigende? Es gibt viele Elemente, ein wesentliches scheint das religiöse zu sein, dessen Besonderheit das auf dem Kalvinismus beruhende helvetische Bekenntnis ist. Auch von daher ist man also etwas Besonderes, nicht nur von der Gebirgswelt oder dem Eisenbahnwesen her. Interessanterweise ist die Schweizer Bundeshymne der so genannte „Schweizerpsalm“, der tiefes Gottvertrauen ausdrückt und daher auch in allen liturgischen Gesangsbüchern zu finden ist.

Aber die Säkularisierung hat auch die Schweiz erfasst, weshalb kaum jemand diesen Text auswendig kennt, der daher bei den traditionellen Feiern zum Nationalfeiertag am

1. August in Handzetteln verteilt wird. Der Kalvinismus scheint eine Grundkonstante im Schweizer Wesen geworden zu sein: Bescheidenheit im Auftreten, Effizienz im Handeln, Rationalität, Sachlichkeit und Pragmatismus. Widersprüche nimmt man zugunsten des letzteren in Kauf.

Effizienz in der Wirtschaft, im Staatswesen (keine Verschuldung, schlanke Verwaltung mit nur sieben Ministerien), in der Gesellschaft, wofür eine der Voraussetzungen eine gute Erziehung ist. Die Schweiz hat eine lange pädagogische Tradition, investiert daher viel in Bildung und Ausbildung. Gute Bildung braucht gute Lehrer, die daher in der Schweiz  zu den bestbezahlten Berufsgruppen zählen, was wieder zum Zustrom ausländischer, insbesondere deutscher Kräfte führt, denen man aber oft ablehnend begegnet, weil sie zur Überfremdung beitragen. Fremdenfeindlichkeit also auch dort, nicht nur den Zugewanderten aus Osteuropa oder den Flüchtlingen aus dem Mittelmeerraum gegenüber. Bezeichnend scheint dabei folgende Anekdote: als in der

2. Hälfte des 19. Jh. zahlreiche russische Studenten nach Zürich kamen, waren sie wegen ihrer öffentlich geführten politischen Debatten als Gefahr für die bürgerliche Ordnung angesehen worden, aber man hatte sie geduldet, weil man meinte, sie trügen mit ihrem Geld „zur Hebung des Volkswohlstandes bei“. Also wer zur Hebung der allgemeinen Wohlfahrt beiträgt, der ist willkommen, wer aber seine eignen Lebensformen beibehalten will, insbesondere wenn sie öffentlich sichtbar werden, den trifft der Volkszorn – wie das Minarettverbot beweist.

Nur nichts Fremdes – und vor allem keine Fremdbestimmung!

Auch wenn die Politik von Parteien gestaltet wird, welche im Parlament die Gesetze erarbeiten und die öffentlichen Angelegenheiten regeln (Parteiendemokratie wie in anderen europäischen Staaten), so hat man zusätzlich das Werkzeug der Volksabstimmung, mit der die Parlamentsbeschlüsse abgesegnet oder aufgehoben werden können. Darin vor allem liegt die Wurzel der Europaskepsis in der Schweiz.

Aus pragmatischen Gründen, bzw. wirtschaftlichen Notwendigkeiten, hat man zahlreiche EU-Regelungen  mittels Sonderverträgen angenommen.

Die Tatsache, dass zahlreiche Schweizer Firmen in Österreich Tochtergesellschaften gegründet haben, um vom Wirtschaftsstandort EU zu profitieren, spricht für sich.

Aber mit dem Argument, ein Vollbeitritt würde die Volksrechte (direkte Demokratie) und die Selbstbestimmung beschränken, wird dieser vorerst nicht vollzogen.

Es wird in der Schweiz vielfach übersehen, dass nicht die EU das Problem darstellt, sondern die multilateralen Konzerne. Diese machen ihre Politik ohne Rücksichtnahme auf nationale Gegebenheiten, setzen Arbeitskräfte frei, wenn sie ihre Produktion in Billiglohnländer verlagern, aber der Staat muss sich dann um die Arbeitslosen kümmern, nicht die Konzerne, die zuvor den Gewinn gemacht haben.Das gleiche gilt für Umweltschäden oder Strukturprobleme, für die ebenfalls der Nationalstaat aufkommen muss, obwohl er die Politik der Konzerne nicht beeinflussen kann.

Aber die „Multi’s“ tragen in der Schweiz eben zum Volkswohlstand bei, weshalb sie willkommen sind, denn sie bringen Milliarden an Fremdkapital ins Land, was die Wirtschaftskraft steigert und Arbeitsplätze im Finanzbereich schafft. Eine günstige Steuergesetzgebung (je nach Kanton unterschiedlich) sorgt dabei für hohe Attraktivität, weshalb zahlreiche Weltkonzerne in der Schweiz ihren Hauptsitz haben. Wirtschaftlichen Nutzen vorausgesetzt, stellt man den Grundsatz der Selbstbestimmung hintan.

Ist letzterer nicht gleich ersichtlich, so beharrt man auf überkommenen Standpunkten. Das mag auch der Grund gewesen sein, weshalb die Schweiz erst 2002 der UNO als Vollmitglied beigetreten ist, obwohl sie schon lange zuvor in Teilorganisationen effizient mitgearbeitet hat.

 

Bescheidenheit ist auch ein Kennzeichen des Schweizer Kulturlebens, was aber höchste Qualität nicht ausschließt. Aber die Kultur ist Sache der Kantone, nicht die des Bundesstaates, weshalb oft die Veranstaltung eines Kantons von den anderen gar nicht wahrgenommen wird. Denn Kultur ist im kalvinistischen Helvetia  nicht Teil der Repräsentation, wie im katholisch-barocken Österreich. Der Schweizer Rundfunk würde der Auffahrt der Gäste beim Luzern Festival keine Sendung widmen, wie dies durch den ORF bei den Salzburger Festspielen geschieht, „Seitenblicke“ gibt es bei kulturellen Veranstaltungen keine. Man hat seine (Hoch)Kultur, aber man spricht nicht darüber.

Fast so zahlreich wie die Kantone sind die Festivals, etwa jene in Gstaad (Kammermusik), Luzern (Sinfonie), Montreux (alte Musik, Jazz), Basel (Kunstmesse) oder Locarno (Film), die alle internationalen Rang haben und die Weltspitze der Interpreten versammeln. Und wo der Kanton keine Mittel dafür hat, da springen Sponsoren ein, denn die Schweiz hat viele reiche Mitbürger (die Einbürgerung von Ausländern ist von deren Einkommen in Fremdkapital abhängig), welchen es ein Anliegen und eine Ehre ist, Kultur zu fördern, ohne dass man das an die große Glocke hängt, denn man ist eben bescheiden. Bemerkenswert ist auch die hohe Dichte an Privatsammlungen und Privatmuseen in der Schweiz, was als Ausdruck eines hohen Kulturverständnisses  und Mäzenatentums gewertet werden kann. Diesem entspricht auch die hohe Sensibilität gegenüber alten Kulturdenkmälern, die in vorbildhafte Weise erhalten und restauriert werden.

 

Die Schweiz wird bei den bevorstehenden Schweizerwochen in Baden vor allem mit kulturellen Veranstaltungen in Erscheinung treten. Ein Blick zeigt, dass sechs der neun Veranstaltungen aus dem Kanton Aargau kommen. Der Grund dafür ist die kulturelle Zusammenarbeit zwischen dem Aargau und dem Land Niederösterreich, welche vom Autor dieser Zeilen 2005 in die Wege geleitet worden ist.

Der Aargau ist das Ursprungsland der Habsburger, Niederösterreich die Wiege Österreichs, wo die Habsburger die Nachfolge der Babenberger als Landesfürsten angetreten haben. Die Habsburg liegt nahe Brugg im Tal der Reuss, nicht weit davon ist die frühe Grablege der Habsburger im Kloster Muri. In Sichtweite der Habsburg  ist Königsfelden, wo König Albrecht I. im Jahre 1207 ermordet wurde (festgehalten in Schillers „Wilhelm Tell“ und  der Gestalt des Johannes Parricida), und wo seine Witwe, Elisabeth von Ungarn, zu seinem Gedächtnis ein Kloster  errichten ließ, dessen Kirche mit  großartigen Glasmalereien aus dem 13. Jh. noch erhalten ist. Königsfelden war auch das römische Vindonissa, das römische Grenzkastell gegen die rauen Helveter im Norden. Also ein geschichtsträchtiger Boden ähnlich wie Niederösterreich.

Die Hauptstadt des Kantons Aargau ist Aarau, nicht weit davon liegt die mit Baden namensgleiche Kurstadt, von wo allerdings kein Vertreter nach Baden bei Wien kommen wird. Dafür kommt der Star des Operettenkonzertes am 14. März aus Birrwil im Aargau, Barbara Buhofer, die zugleich Bürgermeisterin ihrer Heimatgemeinde ist. Sie hat 2006 und 2007 die „Sissi“ im gleichnamigen Musical in Füssen, nahe den bayrischen Königsschlössern, dargestellt.

 

Zahlreich sind und waren die Kontakte österreichischer Künstler und Musiker zur Schweiz. Es ist wenig bekannt, dass Arnold Schönberg  1934 in Montreux seine Oper „Moses und Aaron“ komponiert hat. Dem Autor dieser Zeilen ist es gelungen, an der Villa seines Schaffens eine Gedenktafel anzubringen, wofür Österreich allerdings kein Geld hatte. Eine Wienerin, Frau Harietta Krips in Montreux, Witwe nach dem berühmten Dirigenten Josef Krips, konnte als  Sponsorin dafür  gewonnen werden.

 

Österreich genießt in der Schweiz  großes Ansehen, überaus hoch ist der Anteil Schweizer Touristen in unserem Land, insbesondere bei den  kulturellen Großereignissen. Dennoch werden die Schweizer und Österreicher oft als Brüder angesehen die Rücken an Rücken stehen. Die bevorstehenden Schweizer Wochen möchten eine Trendumkehr sein, um von Angesicht zu Angesicht die Besonderheiten und Gemeinsamkeiten beider besser erfahren und verstehen zu können. Anlässe dazu gibt es genug, auch jenseits von spektakulären Tagesereignissen.

 

Dr. Rudolf Novak

Die Schweiz im Blickfeld

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