Die Stunde Null
Am 8. Juli 1955 wird der Beschluss des Alliierten Rates vom 10. Dezember 1945, wonach Österreich jede militärische Aktivität verboten ist, aufgehoben. Am 15. Juli wird im Bundeskanzleramt das Amt für Landesverteidigung eingerichtet. Und am 14. September 1955 verlegt die 1. Kompanie der provisorischen Grenzschutz-Abteilung I, die aus der B-Gendarmerie hervorgegangen ist, unter dem Kommando von Major Friedrich Birsak von Linz nach Wien.
Die B-Gendarmerie wuchs, wie es der ehemalige Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums, Dr. Christoph Allmayer-Beck, einst auf den Punkt brachte, „von den Amerikanern gefördert, von den Briten und Franzosen wohlwollend geduldet, und von den Sowjets argwöhnisch beobachtet, von der KPÖ laufend denunziert, von der übrigen Bevölkerung wenig beachtet, zu einer straffen, wohlausgebildeten Truppe heran“.
Die Einheiten der ehemaligen B-Gendarmerie wurden daher auch von den amerikanischen Besatzungstruppen komplett mit Fahrzeuge und Waffen ausgestattet bzw. ausgerüstet. Diese Bewaffnung bildete den Grundstock für die Ausrüstung des jungen Österreichischen Bundesheeres. Der Umfang reichte aus, um zwei Divisionen nach amerikanischer Gliederung (rund 28.000 Mann) aufzustellen.
Zur persönlichen Bewaffnung der B-Gendarmen gehört die legendäre Pi 11, in Österreich offiziell als Pistole, 11,43 mm, M-1911A1 eingeführt.
Die amerikanische Bezeichnung lautet etwas martialischer: Pistole Colt M1911 (U.S. Pistol, Caliber .45 Model of 1911 – alias „Colt Government“).
Noch holpriger stellt sich die Beschreibung gemäß Ausbildungsvorschrift für die Infanterie aus dem Jahr 1957 dar: „Starr verriegelter Rückstoßlader mit Magazin für 7 Patronen im Griff (Streifenladung)“. Bei der Waffe handelt es sich dabei um eine Selbstladepistole, die im Auftrag der Firma Colt von John Moses Browning (1855–1926) ab 1907 auf der Basis des von ihm entwickelten Browning-Systems gefertigt wird. Von 1911 bis 1985 (!!) ist sie „die“ Ordonnanzpistole der US-Streitkräfte überhaupt. Über drei Millionen Stück des Modells 1911 wurden gebaut. Erst 1985 wurde sie durch die Beretta 92FS ersetzt. An der Beliebtheit der Pi 11 änderte das jedoch wenig, und so wird die Pistole auch heute noch von Mitgliedern von Spezialeinheiten der Armee und der Polizei geführt. Auch bei Sportschützen weltweit sind 1911er-Derivate nach wie vor sehr beliebt. In den 1996 ausgehobenen amerikanischen Waffenlagern fanden sich auch mehrere Pistolen vom Typ Pi 11. Dank einer hervorragenden Konservierung waren sie voll verwendungsfähig.
An Langwaffen gelangten das Gewehr 7,62 mm GM.1 (Garand) und der Karabiner 7,62 mm KM.1 (Carbine) von der B-Gendarmerie über den provisorischen Grenzschutz in den Besitz des Österreichischen Bundesheeres. Dazu kamen dann noch die Gewehre aus dem Amerikanischen Hilfsprogramm. Bei beiden Waffen handelt es sich um halbautomatische Gasdrucklader mit zentraler Warzenverriegelung. Der Karabiner KM.1 Für den KM.1 gab es auch eine Gewehrgranateinrichtung M.7 mit dem Gewehrgranatvisier M.15 verschossen werden konnte. Da für den KM.1 ein 50(!)-Schuss-Magazin gefordert wurde, befand sich die Munition zunächst in 50er Schachteln.
In Österreich führte man hingegen die 45er Schachteln ein. Ein Magazin mit 15 Schuss war an der Waffe, zwei weitere waren am Mann.
Damit war eine übersichtliche Munitionsgebarung möglich geworden.
Die Idee kam im Gefängnis
Der Erfinder des im KM.1 angewendeten Antriebssystems des verkürzten Gasrücklaufes war ein gewisser David Marshall Williams. Als Schwarzbrenner kam er in ein Gefecht mit einem Deputy-Sheriff, der dabei getötet wurde. Williams erhielt eine 30jährige Haftstrafe. Im Gefängnis entwickelte er dieses Short-Stroke-System. Insgesamt 6.117.827 Stück des KM.1 wurden in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts erzeugt.
Die Dauerleihe
Die Waffen wurden Seitens der amerikanischen Regierung Österreich im Rahmen des Military Assistance Programm (MAP) zur Verfügung gestellt. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass es sich dabei um eine Leihe handelt.
Das bedeutet, dass Österreich auch heute noch über den Verbleib jeder Waffe Rechenschaft ablegen muss. Als typisches Detail am Rande sei erwähnt, dass die Amerikaner keine Listen über die Leihe führten. Österreich erhielt daher den Auftrag, die genaue Stückzahl zu erheben und den Amerikanern bekanntzugeben.
Die ersten Waffen erhält das junge Bundesheer von den abziehenden Allierten Truppen. Dass es sich dabei um ein „Danaergeschenk“ handelt, wird erst später schmerzlich klar: Bei der Dotierung des Verteidigungsbudgets wird schlichtweg darauf vergessen, dass diese, bereits im Weltkrieg eingesetzten Waffen auch einmal an ihr Lebensende gelangen und daher ersetzt werden müssen. Diese grobe Fehleinschätzung belastet das Verteidigungsbudget bis heute.

7,62 mm Gewehr GM.1 von Springfield Armory mit Schießriemen M.1907 (aus Stoff), kurzem Bajonett M.1 mit Scheide M.7.

Rolf M. Urrisk
GESCHICHTE DER
BEWAFFNUNG
DES ÖSTERREICHISCHEN BUNDESHEERES
Folge 2

11,43 mm Pistole M.1911A1 von Colt Industries mit Magazin und dazugehöriger Pistolentasche mit Krallen M.1910.

Gardesoldaten beim Exerzieren mit dem GM.1. Die Soldaten tragen das Gewehr mit dem (steifen) österreichischen Lederriemen.

7,62 mm Karabiner KM.1 mit Gewehrgranatgerät, -Visier und Bajonett M.4 mit Ledergriff und Scheide M.8A1.